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Literarischer Adventkalender 2020

Dieser Literarische Adventkalender gibt unseren Autorinnen und Autoren die Möglichkeit gemeinsam in Aktion zu treten, nachdem viele unserer öffentlichen Lesungen abgesagt werden mussten. 

1. Dezember

Hans Naderhirn

2. Dezember

Martina Sens

 

die neue

 

solidarität

 

lässt alte

 

menschen einsam

 

leben oder sterben

 

lässt kranke

 

menschen einsam

 

gesunden oder verderben

 

die neue

 

solidarität

 

lässt alle

 

menschen einsam

3. Dezember

Thomas Schlager Weidinger

 

 

weihnachtsgeschäft

 

 

wenn hirten

 

engel und weisen

 

wieder weg sind

 

 

 

bedürftige

 

und ausgestoßene

 

aber immer noch da sind

 

 

 

beginnt erst so richtig

 

das tagesgeschäft

 

seiner menschwerdung

  

4. Dezember

Ilse Bachl

  

Stifter im Klimawandel

 

Ich sah Waldwoge um Waldwoge, blickte zurück in die unbedeutenden Teile, die einer strengen landwirtschaftlichen Ordnung unterzogen, in Felder und Wiesen, in Braun und Grün eingeteilt, bis zum Böhmerwald reichen sollten. Ja, ich sah den Böhmerwald nicht mit eigenen Augen, aber mit dem Auge des Dichters, als er einst beim Kuraufenthalt vor der Metz-Villa sitzend, wohl gedanklich immer wieder seine Heimat gesucht hatte. Eine ganze Landkarte hatte er wohl in den fernen Wald gelegt, eine Landkarte der Erinnerung an den Hochwald, in großen Flächen noch Natur belassen, dort und da schon abgeholzt, aber nur zum Zwecke der Zimmerleutekunst. Menschen, die mit Holz umgehen konnten, waren zu des Dichters Lebenszeit schon sehr begehrt, sind auch heute mehr denn je umworben, werden es wohl immer sein.

 

Der Wolken schwere, graue Daunenkissen senkten sich gegen das Land. Der Abend fiel herein, die Farben glichen denen, die der Maler Adalbert Stifter gesehen hatte, als er seine Wolkenstudie bei Kirchschlag geschaffen.

 

Braun und blau, mit vorbeiziehendem weißen Gewölk, ins Grau und Schwarz fallend, aber alles normal, alles friedlich. Wo waren die großen Wetterkapriolen, die Stürme, die Blitze und Lichtgeysire, die vom Maler gemalt und vom Dichter in Worten beschworen? Konnte der von Experten und Medien sowie der „Jeanne d` Arc der Klimabewegung“ Greta Thunberg warnend verkündete Klimawandel auch in Kirchschlag zu sichten sein? Ich spürte nicht die kühle, windige Luft, wie sie Adalbert Stifter bei seinen Aufenthalten in Kirchschlag verspürt hatte. Doch die heilsame Höhe konnte ich erahnen, den Luftkurort empfand ich als plausibel.

 

Es war steil den Hügel heraufgegangen, von Glasau aus. An Kitzbühel oder Badgastein wurde ich erinnert. Die großen Häuser am Hang, Terrassen und Balkone widerlegten schon bald meine Vorstellung, einen kleinen, vereinsamten Ort mit einer kleinen, vereinsamten Kirche zu sehen, wie Stifters Protagonist im „Waldgänger“ ihm so biedermeierlich begegnet war. Was ich sah, war der schlanke weiße Kirchturm hinter einem voluminösen Bäckerhaus. Auch das Badehaus war nicht in Sicht.

 

In der Dämmerung konnte ich noch einen Blick auf Linz werfen. Im v-förmigen Einschnitt zwischen sich herbstlich verfärbenden Wäldern war noch kein Lichtermeer zu sehen, aber dort und da hoben sich schrille Lichtpunkte aus dem grauen Abenddunst. Auf einer Weide vor mir gefällige, braune Rinder, wie Statuen, völlig bewegungslos. Ich zweifelte daran, dass sie jemals ihre Position verändern würden. Ein Traktor zog im Scheinwerferlicht seine Runden. Die Graszeilen wurden zu Ballen gepresst und lagen da wie Hagelkörner, von Titanenhand auf die gemähte Wiese gestreut.

 

Am gegenüberliegenden Hang sah ich ihn dann: Den Kahlschlag! Nachdem ich schon fast der Meinung war, dass in diesem unbedeutenderen Teil des schönen Landes ob der Enns der Laubwald dominiere und vor allem saft- und kraftvolle Buchen, Ahorne, Birken, Ulmen und Linden anzutreffen wären, durfte ich ihm nun doch noch begegnen: Dem „Naturphänomen“ Waldsterben! Und ein neuer Name für das Denkmal fiel mir plötzlich ein, vielleicht ein wenig überhöht, aber auch einen Kern Wahrheit enthaltend. Seit Stifters Aufenthalten in den 1860ern hatte sich wohl viel verändert. So die Kultur, die Gesellschaft und augenscheinlich auch die Natur und das Klima. Und so finde ich, der Name passt gut: „Stifter im Klimawandel“.

 

(I.Bachl, November 2020)

5. Dezember

Claudia Taller: Sorge

Gedicht aus dem Zyklus: Spielarten der Liebe
C.Taller-Gedicht (2).mov
MP3 Audio Datei 80.1 MB

6. Dezember

Ursula Hirtl

13 Tage

  

Im Linzer Kunstmuseum Lentos hängt ein Bild von Andy Warhol. Es zeigt Mao Tse-Tung. Bei seinem Anblick erstarre ich immer. Ich kann ihn kaum ertragen. Obwohl ich mit Mao nichts zu tun habe.

 

Ich kannte einen, der mit ihm zu tun hatte. Nicht mit Mao Tse-Tung persönlich, natürlich nicht. Aber der im Land war. Damals.

 

„Die große Proletarische Kulturrevolution ist eine Revolution, die die Seelen der Menschen erfasst hat.“ Das sagte er, Mao Tse-Tung.

 

Seine Bibel liegt irgendwo bei mir im Keller. Der, den ich kannte, und der damals im Land war, hat sie mir hinterlassen. Die rote Mao-Bibel und noch ein paar andere Dinge. Einen Fächer, fein geschnitzt. Kleidung aus Seide. Und einige Zeichnungen aus seinen Briefen sind da. Eine davon zeigt ein Gesicht. Darunter steht: „Ich habe versucht, ein chinesisches Mädchen, das in deinem Alter ist, zu zeichnen. Alles Gute zum Geburtstag!“ Daneben ist noch eine bunte Geburtstagstorte gemalt, mit sechs Kerzen darauf.

 

Der, den ich kannte, war lange in China. Viel zu lange. Wenn ich meine Mutter fragte, kam nur ein barsches „Er kommt bald wieder“. Also fragte ich nicht oft.

 

1967 begann ich meine Schullaufbahn. Endlich, denn mir lag viel daran, dass ich dem, den ich kannte, Briefe schreiben konnte. Bisher hatte ich mich aufs Zeichnen beschränken müssen. Aber zu Weihnachten wollte ich so weit sein, dass ich einen Brief schreiben konnte, einen, der mindestens eine Seite lang sein sollte. Einen richtigen Brief eben.

 

Wir feierten Weihnachten zweimal. Zuerst am frühen Nachmittag, weil da in China Abend war. Und dann am Abend, weil da in Österreich das Christkind kam. Ich schrieb meinen Brief. Eineinhalb Seiten.

 

Und bekam keine Antwort.

 

Nicht einmal zum Geburtstag schickte er diesmal etwas.

 

In der Schule fragte die Lehrerin, ob ich etwas aus China gehört hätte. Ich sagte nein. Sie schaute sorgenvoll drein. Das war kaum zu ertragen.

 

Irgendwann nach Ostern stand plötzlich ein fremder Mann vor der Tür, stellte sich vor als jemand von der Vöest und wollte mit meiner Mutter reden. Ich musste ins Schlafzimmer verschwinden. Als er gegangen war, konnte ich wieder raus. Meine Mutter weinte, deshalb fragte ich sie lieber nicht, was los war.

 

Am nächsten Tag nahm sie mich an der Hand und ging mit mir in die Schule, um mit der Lehrerin zu sprechen. Ich durfte nicht dabei sein.

 

Das war der erste Tag nach dem Besuch des Mannes von der Vöest.

 

Am zweiten Tag nach dem Besuch des Mannes von der Vöest fragte ich meine Mutter, ob sie etwas aus China gehört hätte. Sie sagte, ich solle endlich Ruhe geben.

 

Am vierten Tag nach dem Besuch des Fremden wurde ich bei meiner Tante abgegeben. Übers Wochenende.

 

Der Montag war der sechste Tag nach dem Besuch und ich ging in die Schule. Meine Lehrerin fragte mich sofort, ob ich etwas aus China gehört hätte. Ich sagte: „Ich trau mich die Mama nicht fragen.“

 

Am siebten Tag kam der Fremde wieder, zusammen mit einem anderen. Ich verschwand schon freiwillig ins Schlafzimmer.

 

Dann holte mich meine Oma. Ich durfte für den Rest der Woche bei ihr bleiben.

 

Am Sonntag brachte sie mich wieder nach Hause. Das war der zwölfte Tag nach dem Besuch des Mannes von der Vöest.

 

Und siehe da, Mama war gut gelaunt. Man hatte einen Fahrer vorbeigeschickt. Es war Nachricht aus China da. Alles war wieder in Ordnung.

 

„Was ist in Ordnung?“, fragte ich. Mama runzelte die Stirn. „Das geht dich gar nichts an“, sagte sie.

 

Drei Tage später stand ein anderer fremder Mann vor der Tür. Er sei ein Fahrer von der Vöest. Ob wir gleich mit ins Spital kommen wollten?

 

Er war wieder da, der, den ich gekannt hatte. Mager sah er aus. Die Augen stachen seltsam heraus aus dem Gesicht.

 

Ich fragte ihn, was los war. Er hielt mich ganz fest und meinte: „Weißt du, die in China machen gerade eine Revolution. Und weil ich kein Chinese bin, haben sie mich eingesperrt. Dreizehn Tage war ich im Gefängnis. Die behandeln einen dort nicht so gut. Deshalb bin ich krank geworden.“

 

Er holte seine Geldtasche aus dem Nachtkästchen und zog ein Stück Papier heraus. „Schau, was ich immer bei mir gehabt habe.“

 

Es war mein Brief. Mein erster richtiger Brief mit eineinhalb Seiten.

 

„Wie lange bleibst du diesmal?“, fragte ich.

 

Er sah mich an. Dann sagte er: „Ich fahr nie wieder weg.“

 

Am nächsten Tag steuerte ich in der Schule auf meine Lehrerin zu. „Hast du etwas aus China gehört?“, fragte sie mit der üblichen sorgenvollen Stimme, die kaum zu ertragen war.

 

„Nein“, sagte ich. „Aber mein Papa ist wieder da. Und er fährt nie wieder weg.“

7. Dezember

Stephen Sokoloff

Text und Karikatur                                          

Der Handwerker

                                             

Hammett: Schauen Sie Herr Sokoloff, was ich alles für Sie gekauft habe. Die neuesten und besten Werkzeuge – sündteuer.! Und das Beste: die bekommen Sie von mir geschenkt!

  

Sokoloff: Aber Herr Hamlet...

 

Hammett: Hammett, Daniel Hammett!

Schauen Sie, ein Presslufthammer, beste deutsche Qualität, der dröhnt so laut, dass alle Wände wackeln,  dazu noch eine Kreissäge, verschiedene Bohrer, Schraubenzieher, Zangen. Eine wahre Pracht – und für Sie total umsonst!

  

Sokoloff: Aber Herr Hamlet, äh, Hammett, ich verstehe nichts davon. Wenn Reparaturen anfallen, rufe ich meinen Schwager an und sofort ist er da. Er ist ein technisches Genie, im Gegensatz zu mir. Also nehmen Sie bitte Ihren Presslufthammer, Ihre Kreissäge....

  

Hammett: Nein, so können Sie nicht mit mir umgehen, auch ich bin ein Mensch! Zwar kein Akademiker, kein Schriftsteller wie Sie, aber auch ein Wesen mit Herz! Was ich von Ihnen verlange, ist nicht die Welt. Nur ein paar Bretter zersägen, ein paar einfache Stühle oder Tische fabrizieren. Egal was, nur zehn Minuten am Tag, zehn Minuten, das würde völlig ausreichen!  Eine Lappalie für Sie, für mich eine Frage der Selbstachtung. Sein oder Nichtsein, sozusagen. Versuchen Sie doch, sich in meine Lage zu versetzen! Den ganzen Tag hämmere und säge ich, bis zur totalen Erschöpfung. Tische, Schränke, Stühle, Wände einreißen, neue Wände errichten, Und Sie? Aus ihrer Wohnung höre ich nichts, überhaupt nichts, und das macht mich rasend!

  

Sokoloff: Ja, Herr Hammett, unsere Berufe sind halt verschieden....

  

Hammett: Und dann kommt mein kleiner Sohn und sagt, „Papi, Papi, der Herr Sokoloff ist wieder in der Zeitung. Vorige Woche war er auch in der Zeitung. Einmal habe ich ihn sogar im Fernsehen gesehen. Papi, wann kommst du in die Zeitung? Oder ins Fernsehen?“

  

Sokoloff: Ach, Herr Hammett, wenn Sie wüssten, wie wenig die Zeitungen zahlen! Man hat mir die Wohnung gekündigt, weil ich die Miete nicht mehr aufbringen kann.

  

Hammett: Kein Problem, Herr Sokoloff, als Handwerker verdiene ich blendend. Ich übernehme gerne die Mietkosten. Als Gegenleistung müssen Sie nur ein paar Zeitungsartikel unter meinem Namen verfassen. Und ein wenig hämmern und bohren. Einen Tisch zimmern. Einen Stuhl. Damit mein Sohn sagt, „Papi, du bist in der Zeitung. Papi, der Herr Sokoloff bastelt genauso wie du, aber die Möbel, die er macht, sind ganz schief! Papi, du bist der Größte, ich bin so froh, dass du mein Papi bist!“

8. Dezember

Hermann Knapp

 

Der Adventkalender

 

Als Kind hatte ich immer denselben Adventkalender. Jahr für Jahr einen Neuen zu kaufen, wäre in den Augen meiner Großmutter, bei der ich aufgewachsen bin, Verschwendung gewesen. Zwei Weltkriege mit all ihren Entbehrungen, hatten sie geprägt. Da sich hinter den Türchen des Kalenders aber ohnehin keine Süßigkeiten versteckten, sondern nur kleine Bildchen, hatte er kein Ablaufdatum. Heute würde man sagen, er war nachhaltig. Meine Großmutter drückte die Türchen nach Weihnachten sorgfältig wieder zu, bevor sie den Kalender verwahrte. Mit den Jahren ließen sie sich dennoch nicht mehr ganz verschließen, aber das spielte keine Rolle, denn ich wusste ohnehin längst, hinter welcher Zahl sich, welches Bild verbarg. Der Engel mit dem goldenen Haar, der Schneemann mit dem roten Schal, der Tannenbaum und das Kind mit dem Schlitten – sie alle waren für mich gute, alte Bekannte. Heute könnte ich die Zahlen und die Bilder natürlich nicht mehr richtig zuordnen, ja ich kann mich nicht einmal mehr an alle Motive erinnern. Aber eines weiß ich genau: Hinter dem Türchen mit der Nummer 24 verbarg sich die Krippe mit dem Jesuskind, Josef und Maria. Und auch Ochs und Esel waren da. 

 

Ich habe viele Jahre nicht mehr an den Kalender gedacht. Dass er mir gerade heuer in den Sinn kommt, mag durchaus dieser vermaledeiten Pandemie geschuldet sein, die wohl nicht nur in mir, den Wunsch nach ein wenig mehr Geborgenheit in dieser Welt wachruft. Da bietet sich eine Rückschau natürlich an, weil sich die Vergangenheit leichter verklären lässt. Einer spontanen Eingebung folgend, habe ich im Internet recherchiert und auf eBay doch tatsächlich ein Exemplar meines damaligen Adventkalenders entdeckt - mit dem Weihnachtsmann vorne drauf, was, wie mir erst jetzt klar wird, eigentlich völlig unpassend war. Denn meine Großmutter hätte diesen, durch übermäßigen Konsum von Keksen, Kakao und vor allem Coca-Cola schwer übergewichtigen Herrn vom Nordpol niemals in die Stube gelassen. Bei uns kam das Christkind. Bloßfüßig und nur mit einem Hemdchen bekleidet, huschte es am Heiligen Abend bei klirrender Kälte von Haus zu Haus, um Geschenke zu verteilen - das arme Ding. Seltsam! Als Kind habe ich mir darüber nie Gedanken gemacht.  

 

Der Kalender ist auf dem Weg zu mir und ich hoffe, dass er vor dem 1. Dezember eintrifft und diesen Advent für mich zu einem besonderen macht. 40 Euro kostet mich das Wiedersehen mit meinen 24 alten Bekannten. Aber das ist es mir wert und es wird ja auch nicht nur ein Türchen mit einem Bild dahinter sein, das ich jeden Abend öffne, sondern zugleich ein Tor zu einer Erinnerung - an eine Welt, die mir damals noch so viel kleiner, übersichtlicher und auch heiler schien. Bestimmt war das so, weil ich selbst noch Kind war und mir vieler Probleme auf diesem Planeten nicht bewusst, aber wohl auch, weil es noch kein Fernsehen rund um die Uhr, kein Internet und keine Social Media gab, weil der Ausdruck Fake-News noch nicht erfunden und der Klimawandel nur ein Schreckgespenst war.

 

Besonders freue ich mich darauf, das 24. Fenster zu öffnen, denn dann werde ich nicht nur die Heilige Familie, sondern in meiner Erinnerung auch einen beleuchteten Christbaum erblicken, dessen Äste so schwer mit Süßigkeiten behängt sind, dass sie sich nach unten biegen - denn jedes Jahr, kurz vor Weihnachten, pfiff meine Großmutter dann doch auf alle Sparsamkeit. Ich werde sie und mich mit leuchtenden Augen vor dem Baum stehen sehen und es wird wie das Heimkommen nach einer langen, langen Reise sein … 

9. Dezember

Perfahl Renate

  

Realität

  

Sanft schimmert die Abendsonne durch den dichte Blättervorhang. Üppig wuchert der wilde Wein, voll mit reifen, dunkelroten Beeren. Ein lauer Wind streichelt zarte Bewegungen in den Spätsommer-Abend. Erste Pastellfarben zeigen sich an den noch saftig grünen Blättern – der Herbst kündigt sich an.

 

Der Wandel der Natur in den Jahreszeiten ist eine stabile Realität. Verlässlich wiederholen sich die gleichen Rituale, geben Trost, Zuversicht  und Stabilität.

 

Der Trost für jedes dürre bunte Blatt das abfällt, liegt in einer kleinen grünen Knospe. Voller Energie und Leben schläft sie bis zum Weckruf des neuen Frühlings.

 

Bald ist Erntezeit – ein Flattern und Rupfen in den Blättern, bis die letzte süße Beere abgezupft ist.

 

Was, wenn die Vögel diesmal nicht kommen?

 

Was, wenn diese Fülle an süßer Reife einfach unerkannt vertrocknet? Ihre Kerne nicht hinaus getragen werden, um ihre Bestimmung zu erfüllen?

 

Worin liegt der Sinn eines Lebens, wenn mich keiner mehr braucht?

 

Genügt es, einfach aus einer Knospe gewachsen zu sein, bis zur Schönheit der vollen Reife zu erblühen um dann zu vertrocknen? Als Beweis dieser unbändig vielfältigen Energie, für uns zum Be – Greifen der sichtbaren Realität alles Lebendigen?

 

Um uns zu erden – um Halt zu finden in dieser schwindelerregenden Vielfalt an Realitäten? Wo jeder einzelne Mensch als Zentrum seines eigenen „Sonnensystems“ erscheint. Unzählige Parallelwelten drehen sich um ihren Mittelpunkt.

 

Jede mit ihrer Bestimmung, wie Musik, die meine Seele zum Klingen bringt. Musik die mir vertraut ist, die meine Farben zum leuchten bringt, oder sie in grauen Nebel hüllt.

 

Meine Wahrnehmung einer Begegnung ist wie eine Komposition der Symphonie meines Lebens. Jeder Mensch schwingt in seiner eigenen Symphonie. Rhythmus, Tonart und Instrumente fügen sich zu Wohlklang oder Disharmonie. Töne wachsen zusammen, zu einem riesigen Orchester oder verstummen. Es gibt keine stabile Realität für alle in diesem unendlichen Raum der Klänge – nichts Greifbares – man kann nichts festhalten, nur den Augenblick wahrnehmen – realisieren.

 

Umgeben vom greifbaren Raum der physischen Körper, der Natur. Faktischer Fixpunkt, die Sonne. Jeden Morgen erscheint sie am Horizont und versinkt jeden Abend im Nachthimmel.

 

Jeder bleibt für sich und ist doch Teil eines großen Orchesters. Auch wenn wir noch so harmonisch gemeinsam musizieren, den Ton halten muss jeder ganz alleine für sich – immer wieder seinen eigenen Ton finden.

 

Mitreißende Melodien voller Faszination und Leidenschaft ziehen dich in einen Strudel der Ekstase. Diesem Sog völlig wehrlos ausgeliefert, genießen und mitschwingen. Gegen den Strom schwimmen geht nicht. Durchtauchen oder auf den Wellen reiten, dieser ungreifbaren Energien.

 

Auch wenn ein großes Orchester eine Solostimme übertönt, ist sie präsent, ein Teil des Ganzen……will nur dich hören – mit dir vereint berühren, wie Sternschnuppen im Universum. Sie leuchten auf und verglühen am Sternenhimmel.

 

Manchmal ergibt sich das Gefühl im falschen Film zu sein, am falschen Planeten, im falschen Orchester…..das ist nicht meine Stimmlage, alles geht viel zu schnell in eine verkehrte Richtung. Unsicherheit, Angst und Einsamkeit bringen die Stimmen zum Verstummen.

 

Ein Ort der Stille und Geborgenheit in der stabilen Natur erdet wieder, beruhigt, lässt Klarheit zu. Bis wieder Musik im Herzen erklingt und meine Träume und Fantasien vorüber fließen. Erdenergie erfüllt meinen Körper, lässt Realität zu und stabilisiert mich um weiter zu komponieren.

10. Dezember

Erich Josef Langwiesner

                     

                          e m b r y o  

 

 

 

 

 

      ein ganz kleines weihnachtstryptichon

 

 

 

                                                                                                                                             ejl.2020

 

 

 

                                                                                                                                                        1

 

                                               die erbsünde

 

 

 

                                               führt gott

 

 

 

                                               ad absurdum

 

 

 

                                                                                     von renate p.

 

                                                                                               und ejl.2020             

 

                                                                  

 

                                                                    2

 

                                                                                                                                               häutig

 

 

 

zwischen

 

 

 

                                               käseschmiere

 

 

 

                                               schleimhaut

 

 

 

                                               altersflecken

 

 

 

enden

 

 

 

                                               zeit

 

 

 

                                               liebe

 

 

 

                                               universen

 

drüber

 

 

 

                                               banalitäten

 

 

 

                                               normen

 

 

 

                                               absentiertes

 

 

 

                                                                                                                                                   ejl.2020

 

 

 

                                                                                                                                                            3

 

 

 

                                               jedes ich

 

 

 

                                               ist eine

 

 

 

                                               verkleidung

 

 

 

 

 

                                                                                                                                               ejl. 2020

 

11. Dezember

Martina Sens

 

 

wieder

 

mündig sein

 

verantworten

 

mein leben

 

und das deine

 

 

wieder

 

lebendig sein

 

spürend

 

alle sinne

 

 

möchte glauben

 

an den sinn

 

möchte glauben

 

an neubeginn

 

sehe nur muster

 

und alte schienen

 

sehe nur angst

 

und leidlawinen

 

sehe hoffnungslosigkeit

 

und schmerz

 

möchte dennoch glauben

 

 

an wachsendes herz

12. Dezember

Christine Roiter

 

Ankunft

  

Es waren die 90er Jahre. REM spielten losing my religion, die Welt stand still, ein Abgrund da vor mir. Angst bodenlos. Regen und November. In die Nacht schauen und wissen, es ist nicht das Ende. Es geht weiter irgendwie.

 

Es waren die 90er, alles brach auf und ab. Es war die Zeit dazwischen, die Zeit, des Akzeptierens, der Lust am Leben und der Angst nicht mehr zu sein.

 

Es waren die 90er und ich hatte mich verliebt. Unter einem blauen Himmel fuhren wir in einen goldenen Nachmittag. Ich durchbrach eine Mauer als die Nacht begann. Ich wurde geliebt. Zuversicht breitete ihre Decke aus und ich legte mich darauf. Wir flogen in den Himmel miteinander, die Welt lag unter uns und weit weg. Alles war möglich.

 

Es wurde Winter und noch immer war es gut, es wurde besser. Verrückt vor Liebe, Angst, Tod, Glück und der ganzen Fülle. Wir verlobten uns bei Ikea und stießen am Glöggstand auf uns an. Wir kauften uns Ringe aus Silber.

 

Es waren noch immer die 90er und Neneh Cherry sang it is a womens world. Es schneite und schneite. Wir fuhren nach Stockholm und machten die Nacht zum Tag. Wir glitten über die eisige Ostsee, tanzten im Faschings und waren das, was man glücklich nennt.

 

Das neue Jahr kam und als es da war, wusste ich, dass ich dich erwartete. Ich hatte keine Angst, denn ich hatte schon alles verloren. Ich konnte nur mehr gewinnen.

 

Es waren die 90er und du tatest deinen ersten Schrei während Paul Weller sang „You do something to me“

 

13. Dezember

Günter Giselher Krenner

Stock zur Daube

 

   Wenn es auch Leute gab, die den Klimawandel abstritten, musste sich doch etwas verändert haben, weil es auch vor zwei Jahren wieder in der ganzen Gemeinde keinen Teich, keinen Fluss und nicht einmal eine aufgespritzte Wasserfläche gegeben hatte, die so zugefroren gewesen wäre, dass man darauf hätte Eisstock schießen können. Früher hatte es jahrelang keine solchen Winter gegeben. Nun häuften sich jedoch die Winter, die eigentlich keine echten Winter mehr waren. Im letzten Jahr wurde aber im Jänner und im Februar von der Gemeinde eine Eisfläche im Pausenhof der Hauptschule angelegt, indem man eine Fläche bewässerte, die durch Holzpfosten begrenzt und mit Plastikfolie ausgelegt worden war.

   Tagsüber konnten hier Schüler und Schülerinnen im Sportunterricht eislaufen, und am Abend stand die Eisfläche den Eisstockschützen zur Verfügung. Dafür musste man sich beim Gemeindeamt anmelden, wo auch die Benützungsgebühr zu entrichten war.

 

   Jeden Mittwochabend war die Eisbahn reserviert für die sogenannte „Elitepartie“, wie andere spöttisch sagten. Dieser Gruppe gehörten ausschließlich Akademiker an, also echte Akademiker, vor allem mit den Titeln Doktor, Magister, Diplomingenieur. Besitzer irgendeines Diploms, etwa ein Diplompädagoge, ein Diplomierter Versicherungskaufmann, ein Diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger oder gar ein kleiner Ingenieur oder ein anderer Pseudostudierter wurden in den Kreis der Universitätsschützen natürlich nicht aufgenommen. Uneinig waren sich die Eliteschützen, was die Fachhochschulabsolventen betraf. Ob sich die Teilnahmevoraussetzungen ändern würden, wenn der sogenannte Bologna-Prozess lückenlos durchgeführt worden sei, blieb abzuwarten.

   Wollte sich jemand Unwürdiger an einem Mittwochabend der akademischen Gruppe anschließen, erlebte er eine herbe Enttäuschung. An diesem Abend strotze die Eisfläche vor Akademikern. Dazu gehörten: Notar, Rechtsanwalt und andere Juristen, Arzt, Tierarzt, Techniker, Lehrer höherer Schulen, Psychologe, Apotheker und eventuell noch andere, welche die Voraussetzung eines Universitätsabschlusses hatten. Natürlich waren nicht alle diese Prominenten jeden Mittwoch auf dem Eis, das wäre ja bei ihren wichtigen Terminen gar nicht möglich gewesen.

   Als zwei Stöcke so standen, dass mit freiem Auge nicht ersichtlich war, welcher Stock der Daube näher war, also welcher Stock „zog“, behauptete der Richter, sein Stock ziehe. Der Techniker, dem der zweite Stock gehörte, sagte: „Den gebe ich nicht her.“ Noch einmal behauptete der Richter: „Mein Stock zieht.“ Als dann der Techniker spottete: „Ein Richter hat immer Recht, auch dann, wenn er Unrecht hat“, war der Richter ein wenig eingeschnappt. Dann nahm der Techniker seinen Laser-Abstandsmesser aus der Tasche und maß bei beiden Stöcken die Entfernung zur Daube. Als er meinte: „Mein Stock zieht um drei Zentimeter“, schwieg der Richter schweren Herzens, obwohl er gerne mit dem Rollmeter nachgemessen hätte, sich aber dann doch nicht lächerlich machen wollte.

 

   Der Tierarzt hatte an diesem Tag die sogenannte Schnapspartie über, wie sie die Verpflichtung nannten, Schnaps und Schnapsgläser mitzunehmen. Die Herren schossen nach der Zählweise „sechse – neune – aus“. Das „Aus“ bedeutete ein Bummerl. Beim Erreichen eines Bummerls wurde von jedem Teilnehmer ein kleiner Schnaps getrunken. Vor allem dann, wenn die einzelnen Spiele kurz waren, kam ziemlich viel hochprozentiger Alkohol zusammen. Dann nahmen die Häufigkeit von Fehlschüssen und die Gefahr von Stürzen zu. Der steigende Alkoholspiegel konnte auch andere Folgen haben. So führte er zum Beispiel beim ehemaligen Juristen der Bezirkshauptmannschaft, dem ältesten Mitglied der Elitegruppe, in die beginnende Inkontinenz und beim Notar zum Verlust der von ihm so geliebten Schriftsprache. Dem Apotheker war übrigens eine alkoholbedingte Gleichgewichtsstörung zum Verhängnis geworden. Für ihn war schon Anfang Jänner auf Grund eines Oberschenkelhalsbruches auf der Suche nach der sogenannten Fuassn die Saison zu Ende gewesen. Seit dem bösen Sturz des Pharmazeuten trugen die meisten akademischen Schützen verschiedene Arten von Schuhen mit Anti-Rutsch-Eisen.

 

   Als Punkt 21 Uhr die zwei Scheinwerfer ausgingen, welche die Eisbahn beleuchteten, machte sich bei den akademischen Eisschützen Unzufriedenheit und Enttäuschung breit. Der Richter klopfte an der Glasscheibe zum Eingangsbereich der Schule, denn er wusste, dass der Schulwart den Auftrag hatte, die Scheinwerfer punktgenau abzudrehen. Der Schulwart jedoch war schlau genug, sich nicht blicken zu lassen, sonst hätte er womöglich noch warten müssen, bis es den Herren genehm gewesen wäre, das Stockschießen zu beenden. So verließ er in der Dunkelheit auf der anderen Seite unbemerkt das Schulgebäude und ging nach Hause.

   Ausklingen ließen die Akademiker den Eisstockabend in einem Gasthaus des Nachbarortes, das halbwegs ihren Vorstellungen entsprach. Nachdem sie auf dem Eis schon ziemlich viele Kalorien in gebrannter Obstform zu sich genommen hatten, aßen die meisten jetzt nur noch leichte Kost..

   Dienst als Kellnerin hatte die junge Budweiserin. Sie war schlank, hatte eine tschechische Topfigur, blonde Haare, blaue Augen und einen sehr kurzen Rock. Die Herren verstanden es, ohne sich abzusprechen, die hübsche Kellnerin möglichst oft an den Tisch zu holen. Meistens verfolgten die Akademikeraugen den tiefen Ausschnitt ihres Pullovers oder den hohen Rand ihres Rockes. Mit den Händen hielten sich die Herren zurück. Sie wollten nicht in die „me-too-Falle“ tappen.

 

 

   Vom Gasthaus zurück zum Schulparkplatz ließen sie sich von dem Taxibus fahren, der sie auch schon in den Nachbarort gebracht hatte. Drei Herren waren überzeugt, dass ihr Alkoholgehalt im Blut, wenn es darauf ankäme, nicht mehr für einen Führerscheinentzug reiche, oder dass ihr beruflicher Bekanntheitsgrad der Feststellung einer Alkoholisierung im Wege stehe. Die anderen ließen sich vom Taxi nach Hause bringen, obwohl dies ein willkommener Anlass hätte sein können für die Vorwürfe aus dem Mund ihrer Frauen, denn zu Hause kam der Akademikerstatus sehr selten zum Tragen.

 

Aus der Satiresammlung "Menschenschlag", erschienen 2020 im arovell-Verlag 

14. Dezember

Sandra Schopf

 

 Adventus Domini

 

Advent, Advent, von fern es brennt,

 
ein ganzer, großer Kontinent

 

 

Dann brennen zwei, dann drei und vier,

 

die Klimaflucht steht vor der Tür

 

 

Die Welt ist krank, sie ringt nach Luft

 
und draußen in der Weite ruft

 

 

 
der Völker Seelenheil, verbannt

 
von tauben Augen schwer verkannt

 

 

An blinden Ohren stumm verhallt

 
Das Herz ist einsam, bang und kalt

 

 

Der Frost zieht zornig ins Gelände,

 
es kommt die Zeit der Winterwende,

 


Advent, es brennen deine Lichter

 

Das Leid hat vielerlei Gesichter

 

 

Wo Nähe war, herrscht jetzt Distanz

 

Das Brauchtum bläst zum Totentanz

 

 

Was sicher galt, ist nun in Schwebe

 

Die Weihnachtshoffnung aber lebe

 

 

Solange wir noch menschlich denken

 

und handeln, und einander Glauben schenken

 

                                                                        

  © Sandra Schopf 2020

 

15. Dezember

H.H. Hadwiger

 

Zeitmaß der Ankunft

  

 

Ursprünglich war der Adventkalender

 

als strenge Zählhilfe ein sehr behänder,

 

veranschaulichender Zeitmesser.

 

Erstmals 1851 noch besser

 

mit 24 selbstgemachten

 

und an den Wänden angebrachten

 

Bildern in protestantischen Gebieten

 

oder die sie mit Kreidestrichen

 

an die Tür zu malen rieten

 

und die täglich um einen wichen.

 

Ihn abzuwischen, machte die Kinder froh.

 

Katholiken legen einen Halm aus Stroh

 

in eine Krippe, jeden Tag einen,

 

die sie am Heiligen Abend vereinen.

 

Eine andere Form war die Weihnachtsuhr

 

(12 Felder: vom 13. bis zum Heilig‘ Abend,

 

sinnige Sprüche zum Inhalt habend)

 

oder die Adventkerze, um der Markierung Spur

 

andächtig Tag für Tag abgebrannt,

 

während des Zweiten Weltkriegs bekannt.

 

Auch Skandinavier kannten schon

 

diese gediegene Tradition.

 

Die Österreicher schufen die Himmelsleiter,

 

auf der sich täglich eine Sprosse weiter

 

das Christuskind abwärts bewegt,

 

was dran zu denken anregt,

 

dass Gott zur Weihnacht auf Erden kommt,

 

wie ’s schließlich jedem Frommen frommt.

 

Der Adventkalender ist heut‘ meist ein Haus

 

mit 24 Fenstern. Überraschungen,

 

Spielzeug, Nippes und Vernaschungen

 

nehmen die Kinder täglich heraus.

 

So soll er die Wartezeit bis Weihnachten verkürzen

 

und sie – wie der Adventkranz – mit Vorfreude

 

würzen.

  

16. Dezember

Christine Roiter

Das Göttliche

  

Vielleicht hast du das Göttliche in Kirchen gesucht. Oder auch in heiligen Büchern.

 

Du hast mit Priestern gesprochen und viel gelesen. Aber gefunden hast du es nicht.

 

Du suchst weiter und meinst, dass etwas bei dir nicht stimmt, weil du es dort, wo du meinst, dass es sein müsse, nicht ist. Wahrscheinlich glaubst du, dass du dich zu wenig bemüht hast.

 

Gleichzeitig spürst du, dass es das Göttliche geben muss. Du weißt zwar nicht, was es eigentlich sein soll, denn an Gott glaubst du ja gar nicht, trotzdem ahnst du, dass es mehr geben muss als das, was du siehst.

 

Also versuchst du es mit einem Gebet. Du liest heilige Schriften…aber du fühlst nichts.

 

Deine Sehnsucht, das Göttliche zu finden, ist groß. Sie brennt in dir, denn du möchtest einen Sinn in deinem Dasein erkennen können. Du spürst, dass dich das Göttliche – wenn du es gefunden hast – mit der Welt und mit dir selbst versöhnen kann. Du bist verzweifelt, weil du weißt, dass es vorhanden, für dich aber unsichtbar ist.

 

Du fühlst eine Sehnsucht in dir, die dich zerreißt --- und du hast Angst. Du hast nackte Angst, weil du fürchtest, dass das kleine Leben, das alles ist, was du im Moment hast, im Nichts zerrinnen wird. Es wird vergehen, ohne dass du eine Ahnung vom Wesen des Seins erfahren hast- So lebst du als Suchende.

 

Es vergeht Zeit, Jahre, Jahrzehnte.

 

Eines Tages hast du das Glück, auf einem Motorrad durch thailändische Landschaften zu fahren. Du sitzt hinten und umarmst den Mann, den du liebst, während ihr durch verzauberte Urwälder fahrt. Du spürst den Wind um die Nase, riechst die Erde und die Pflanzen. Du meinst, dass der Wald nie grüner, der Himmel niemals blauer und das Leben niemals schöner, freier, bunter und voller gewesen ist. Du bist hier und es gibt nichts, was du nun begehrst, denn du hast alles.

Du bist einfach glücklich …und da fühlst du es: Das Göttliche, die blaue Blume der Romantiker, das goldene Vlies, .. es ist im Wind, in den raschelnden Blättern der Bäume. Es ist in der belebten Natur, im Lebendigen, im Wimpernschlag deines Geliebten, in der Berührung von menschlicher Haut, es ist ---überall. Es ist einfach da. Es ist unsichtbar, unerklärbar, ein Mysterium. Es ist Liebe und Schönheit. Und du bist davon umgeben, warst es schon immer, nur hast du es nicht bemerkt.

 

Es ist in dir und um dich. Du bist ein Teil davon, getragen und beschützt.

Du hast es gefunden – das Göttliche.

17. Dezember

Thomas Schlager Weidinger

 

strohreich

 

 

 

 das stroh der krippe

 birgt den halm

 

 

 an dem die hoffnung

 sich klammert

 

 

 der kleine finger

 eines unsichtbaren gottes

  

 

nicht nur ein weihnachtswunsch

 

es sangen
die engel auch
bei deiner
und meiner geburt
und ein guter stern
leuchtete 

 

mit dem ersten schrei
über dir
und mir

gekommen endlich
die zeit 
um wieder 
das jubeln 
zu hören 
und den glanz
in uns zu sehen

 

18. Dezember

Martina Sens

 

 

und doch

 

blüht

 

und summt es

 

und doch

 

wird geliebt

 

und gelacht

 

und doch

 

wird ein

 

ende kommen

 

so oder so

 

19. Dezember

Hans Naderhirn

 

Schneeahnung

 

Leise trägt der Hauch

 

ferne Schneeahnung herbei.

 

Den nahen Winter

 

künden die ersten Flocken.

 

 

Ruhig breitet sich

 

ein endloses weiches Weiß

 

auf alles Leben

 

schützend und wärmend zugleich.

 

  

Schmuck aus Frost und Eis

 

liegt innen auf kaltem Glas.

 

Am Weg zur Mette

 

knirscht es unter den Stiefeln.

 

  

Holzeswärme kracht.

 

Rote, heiße Ofenglut

 

verdrängt die Strenge

 

der winterlichen Kälte.

 

  

Pulver stäubt unter

 

den gleitenden Schiern.

 

Stahlkanten brechen

 

durch gefrorene Platten.

 

  

Vom Sturm getrieben

 

waagerecht herbeigeweht

 

trifft Schneegestöber

 

schmerzend auf Gesicht und Haut.

 

  

Aber die Sonne

 

nimmt schon der Kälte die Kraft.

 

Schneerosen schmelzen

 

bald durch die weiße Decke.

 

(H. Naderhirn, Februar 2020)

20. Dezember

Renate Perfahl

21. Dezember

Ingeborg Rauchberger

 

Weihnachten

 

Wenn von Neon-Plastiktannen

LED herniederlacht

und statt Orangenpunsch mit Nelken

Konzentrat die Runde macht.

Wenn die X-mas Playlist dudelt

und man sich Gutschein-Emails schenkt

ist’s kein Wunder, dass so mancher

an die Zeit von früher denkt.

Wo verklärt in der Erinn‘rung

tiefverschneit die Welt versinkt.

Und von Ferne aus der Stille

leiser Glockenklang erklingt.

Wo noch Kinderaugen strahlten

ein Geschenk von Herzen kam

Wo wir nicht mit Luxus prahlten

und man noch zum Schnaufen kam.

Doch Erinnerungen trügen,

halten der Wirklichkeit nicht stand.

Was vergangen ist vergangen.

Das Heute liegt in unsrer Hand.

Weihnachtsfreude, Weihnachtsfriede

gibt es nicht bei Amazon

dafür musst du selber sorgen,

dann gibt’s haufenweis davon.

Denn, so denk an meine Worte

In der stillen, heilgen Nacht.

Weihnachten ist alleine das,

was du selbst daraus gemacht.

                © Ingeborg Rauchberger

22. Dezember

Hermann Knapp

Kein Weihnachten ohne Frankfurter

 

Zu Weihnachten gibt’s bei uns Frankfurter Würstel.

Das ist genauso Tradition, wie der Christbaum, die Casali-Schnapsflascherl und die Sternspritzer. Bei meiner Oma, bei der ich aufgewachsen bin, sind am heiligen Abend auch immer Würstel auf den Tisch gekommen. Als Kind hat mir davor gegraust und bis heute sind sie nicht gerade meine Lieblingsspeise. Aber Tradition, ist halt Tradition. Und Weihnachten ohne Frankfurter, das wäre für mich wie eine Krippe ohne Ochs und Esel.

 

Für meine Oma waren die Würstel das, was für andere Leute die Weihnachtsgans oder der Karpfen sind. Etwas ganz Besonderes. Warum, das hat sie mir nie erzählt, aber ich glaube, dass es etwas mit dem Krieg und dem Hunger damals zu tun gehabt hat. Vielleicht hat es ja beim ersten Weihnachtfest nach Kriegsende bei der Oma Würstel gegeben oder sie waren die Lieblingsspeise meines Opas. Der ist übrigens schon gestorben, als ich noch ganz klein war, was aber nicht an den Würsteln gelegen haben muss. Ich habe es nie geschafft, meiner Oma zu sagen, dass ich die Frankfurter eigentlich nicht mag. Irgendwie hatte ich immer Angst, ihr damit das Herz zu brechen. Weihnachten ohne Würstel, das wäre für sie gewesen, wie eine Krippe ohne Stern von Bethlehem.

 

 

Wer die Geschichte zu Ende lesen möchte, findet sie in meinem neuen Buch: "Kein Weihnachten ohne Würstel" (erscheint im Oktober 2021).

Infos dazu und zu meinem sonstigen literarisches Schaffen gibt es auf meiner Homepage. Dort kann man auch meine Bücher bestellen: www.hermann-knapp.at

23. Dezember

 

Ida Leibetseder

  

 

Der Winter

 

  

Und erst wenn der Wind wild an den Haaren reißt,

 

Kälte wie ein Raubtier in den Nacken beißt,

 

man sich Nase laufend, mit den Augen tränend

  

erwischt, wie man nach dampfenden Tee sehnend

  

die Finger zum Schutz vor Kälte ineinander krampft,

  

und man zügellos, frei über weiße Weiten tanzt

  

während die Sonne schon früh nachmittags überlegt,

  

ob es nun nicht an der Zeit ist, dass sie untergeht.

  

Wenn der Instinkt uns den Kopf zwischen die

 

Schultern steckt

  

und eine müde Welt voll von weißem Schnee bedeckt

  

plötzlich sanft wird, als läge der Frieden darauf

  

und jedes Lichtlein im Dunkeln aus sich heraus

  

hinauf, hinauf bis zum Himmel scheint

  

und sich mit funkelnden Sternen in dunkler Schwere

 

langsam vereint.

  

Dann, dann erst ist für mich Weihnachten da,

  

nicht mit klingendem Glöckchen und goldenem Haar

  

sondern wenn in eisiger Kälte alles zugunsten der

 

Stille verklingt

  

und meine Seele schaukelnd in des Winters Mystik

 

versinkt.

  

24. Dezember

 

Erich Josef Langwiesner